Julia Peirone
Blackberry Bloom
In Blackberry Bloom I- IV leuchten vor dunklem Hintergrund zwei blasse, nackte Frauenkörper. Verbunden an dunklem Haar lässt sich nicht ausmachen ob sich die Körper abstoßen oder verbinden. Wer Julia Peirones Portraits sieht, besteigt die Achterbahn der Gefühle von jungen Frauen in der Pubertät. Wie beantworte ich mir die Frage nach Individualität bei ständigem Taumel zwischen äußerem Erscheinungsbild, der Rolle in der Gesellschaft, persönlichster Selbstwahrnehmung und der eigenen Innenwelt? – scheint Peirone in ihren Bildern zu fragen.
Dabei möchte Peirone im Betrachter vor allem ein nicht in Worte zu fassendes essentielles körperliches Gefühl ansteuern. Der schon in sich ambivalente Titel Violet Vertigo wird zur programmatischen Botschaft. Die Essenz eines körperlich-seelischen Zustands wird meist durch Musik oder Malerei erfahrbar, selten aber dem realitätsnahen Dokument von Fotografien zugeschrieben. Genau hier jedoch, setzt Peirone mit der ihr zur Seite stehenden Bildbearbeitung an. Sie mischt ihre analog entstandenen Aufnahmen mit digitaler Bildbearbeitung und führt somit Dokumentar- und Inszenierte Fotografie auf faszinierende Art zusammen. Den Hintergrund löst Peirone ins Monochrome auf. Durch schneiden, spiegeln und kollagieren am Rechner, lässt sie die typische Zentralperspektive der Fotografie verschwinden. Vollkommen neu entsteht dadurch ein vom fotografischen Zeitfaktor losgelöstes Einzelbild.
Peirones Arbeiten sind aus kunsthistorischer Sicht an den Surrealismus der Kriegszwischenjahre angelehnt. Künstler wie Man Ray, Boiffard, Claude Cahun oder Hannah Höch richteten sich bewusst mit eigenen Fragen an den weiblichen Körper und dessen Sexualität. Im zeitgenössischen Geschehen begleiten diese Fragen Künstlerinnen wie Cindy Sherman, Nan Goldin oder Helen Chadwick.
Cherry Honey Sugar
In einer weiteren Serie zeigt Peirone auf weißem Grund die Haargummis von Freundinnen. Die bunten Haarbänder tragen noch ausgerissene Haare der Trägerinnen. Ambivalenz ist das stringente Motiv – Haare zuvor als schöner Schmuck erzeugen entkörperlicht einen völlig unterschiedlichen Eindruck.
Baby, Sweetheart, Muffin und Violet Vertigo – was sich anhört wie Kosenamen sind Titel der neuen Arbeiten von Julia Peirone. Sie sind Kosmetikartikeln entlehnt und spielen auf das Leben inmitten dieser Produkte an. Den Betrachter erwarten aber keine geschönten Werbeaufnahmen oder feministisch-kodierte Sozialkritik, sondern vielmehr feinsinnige Gradwanderungen einer Künstlerin mit Blick auf die Frauen die sie umgeben.
Broken
Broken ist eine von Peirones wenigen skulpturalen Arbeiten. Sie ist in Anregung durch die Perlenkette ihrer Mutter entstanden. Peirone fragte sich, was passieren würde, wenn die Kette plötzlich riß. Broken ist eine imaginative Installation: 58 kleine Bronzemädchen beschäftigen sich auf ihre ganz persönliche Weise mit der ihnen zugefallenen Perle. Die Installation als Ganzes wird dadurch zu einer Art Forschungsfeld zur Thematik Mädchen in der Pupertät und ihrem Umgang mit dem Geschenk der Schönheit ihres Körpers und ihrer Entwicklung zur Frau.
Night Spots
Von nächtlicher Dunkelheit umgeben erscheinen einzelne hell erleuchtete Figuren. Die augenscheinlich portraitähnlichen Dargestellten, oftmals junge Mädchen, drehen sich aber meist von der Kamera weg zur nächtlichen Dunkelheit hin. Wieder arbeitet Julia Peirone gegen die angenommene Norm und eröffnet so einen anderen Dialog für den Betrachter.
Reconstruction Presence
In ihren neueren Arbeiten wird der Computer ein wichtiges Instrument. In der Serie „Reconstruction of Presence" greift Julia Peirone auf ihr eigenes Archiv dokumentarischer Bilder von Menschen in den Straßen von Paris zurück. Mit Hilfe des Computers werden sie aus ihrem natürlichen Kontext herausgeschnitten und auf einen monochromen Hintergrund in einer neuen Situation wieder zusammengestellt. Hier verschiebt Julia Peirone gleichzeitig auch die allseits bekannte Zentralperspektive, die seit der Renaissance das wichtigste Instrument für die Realität in der Kunst war und von der Fotografie übernommen wurde.
The girl
Ihre erste Serie „The Girl" entstand ohne Computerbearbeitung und kombiniert lineare Zeichnungen eines jungen Mädchens mit verschiedenen Kontexten. So werden diese entweder direkt auf eine abfotografierte gefundene Postkarte aufgetragen, oder auf Fotografien, die direkt vom Fernsehbildschirm des letzten WM-Fussballspiels England – Argentinien abfotografiert wurden. Hierbei spielt – ähnlich wie in Andy Warhols Arbeiten – die Unvollkommenheit der Reproduktion, in der man die einzelnen runden Rasterpunkte deutlich wahrnehmen kann, eine wichtige Rolle. Dies steht in direktem Gegensatz zu den quadratischen digitalen Pixeln, die man von heutigen Bildern, die z.B. eine zu geringe Auflösung haben, kennt.