Olaf Otto Becker
Under The Nordic Light






























„Ein Bild machen ist für mich der Versuch, etwas zu begreifen. Wirklichkeit begreifen, die sich in Form von Landschaft darstellt.“ Olaf Otto Becker, 2011
Olaf Otto Beckers erneute Reise nach Island im Sommer 2010 sowie 2011 war der Suche nach den Spuren der Zeit gewidmet. Die Arbeiten seiner letzten Reisen an denselben Ort zwischen 1999 und 2002 mündeten in dem 2005 erschienen, inzwischen vergriffenen Buch Unter dem Licht des Nordens. In diesem Jahr dürfen wir Under the Nordic Light - A Journey through Time (Hatje Cantz, 2011) vorstellen.
„Kann man Zeit fotografieren?“ war eine Frage und damit Arbeitsthese Olaf Otto Beckers. Es entstanden Fotografien, die Orte bewusst nach zehn Jahren Abwesenheit erneut zeigen. Seine Aufnahmen der gleichen Orte von damals bieten eine Möglichkeit, Zeit auf faszinierende, neue Art wahrzunehmen. Dabei geht es in den meist als Diptychen gegenübergestellten Bildern nicht um einen Vorher-Nachher Effekt, sondern eher um eine Versuchsanordnung zur Überprüfung der Wahrnehmung.
„Zweimal am gleichen Ort: der gleiche Ausschnitt, das gleiche Licht. Dazwischen liegen zehn Jahre unserer Zeit – so nehme ich mich augenblicklich wahr, gleichsam neben mir stehend, als Zeuge meiner eigenen Lebenszeit und dem was mich umgibt und trete während der Betrachtung aus der Zeit hinaus, als gäbe es diese gar nicht.“
Zeitliche Erfahrung, als Stillstand oder Konstante, wird unterschiedlich vermittelt. Sei es am augenscheinlichen Beispiel sozialer Komponenten wie den Aufnahmen der Architekturentwicklung Islands – in dem von der Finanzkrise schwer getroffenen Land hat sich in den letzten Jahren kaum etwas verändert. Oder an den Fotografien der isländischen Landschaft, die sich zeitlicher Entwicklung zuweilen unterwerfen muss oder anderenorts sich ihr zu entziehen scheint.
Was unterscheidet nun jedoch das eine Bild von seinem „Duplikat“, was führt zu Einmaligkeit? Es sind die in der Zwischenzeit gesammelten Erfahrungen, Assoziationen, Sichtweisen und auch Emotionen, die jedes Bild einzigartig machen. Es wird der Blick, als Ausdruck kultureller und sozialästhetischer Einflüsse, im Bild deutlich gemacht und tritt in Manifestation wohl am deutlichsten in der Fotografie auf.
Becker muss damit aber nicht in die Tradition deutscher Fotografie der letzten 25 Jahre eingereiht werden. Es geht in seinen Arbeiten nicht wie in jenen der meisten Becher-Epigonen um Medienreflexion. Viel eher sieht er sich in der Tradition der amerikanischen Landschaftsfotografie, in der die Landschaft auch als Bühne der menschlichen Existenz verstanden werden kann. Gerade der Blick auf Urlandschaften, die in allen Projekten Beckers Motiv sind, verdeutlicht das Zusammenspiel bzw. die Wechselwirkung von Mensch und Natur. Natur – unberührt oder von Menschenhand geformt – ist die Grundlage allen Seins. Die Landschaft als dem Menschen deutlichste Manifestation von Natur und Ursprung ist derart mächtig, dass sie Eingriffe des Menschen anzunehmen scheint, als hätte sie diese selbst erzeugt.
Das Fotografieren mit der anspruchsvollen Großformatkamera ist für Becker dabei wie eine Zeremonie, mit der er der Landschaft den nötigen Respekt entgegenbringt. Diese Ehrerbietung bringt den Betrachtern deutlich nahe, wie ergreifend aber auch vergänglich diese Schönheit ist. Ohne anzuklagen wird ins Bewusstsein gerufen was ohne den Willen zum Einklang und Respekt gegenüber der Umwelt auf dem Spiel steht. Was Olaf Otto Becker schon in seinen beiden letzten Projekten Broken Line und Above Zero dem Betrachter vor Augen geführt hat, wird in dieser Zeitreise noch offensichtlicher.
Above Zero



















„Wir verbrachten zehn Tage an diesem Fluss, und jeden Tag schien die Sonne 24 Stunden lang. In dieser Zeit schmolz die Oberfläche des Eises, das uns Umgab, um ungefähr 40 Zentimeter."
Nach der genauen geographischen Dokumentation der grönländischen Küstenlandschaft in seinem mehrjährigen Projekt „Broken Line", reiste Becker zuletzt im Sommer 2008 mit dem Vorhaben nach Grönland, mehrere Flüsse auf dem Inlandeis zu porträtieren. Ausgerüstet mit Satellitenbildern der NASA begab er sich auf langen, kräftezehrenden Fußmärschen durch das hochsommerliche Grönland an die Seite von vier Flüssen. Temperaturen „Above Zero" – über dem Gefrierpunkt – lassen das Eis schmelzen, so dass sich aus einzelnen Rinnsalen Flüsse über und unter dem Eis bilden. Ein eindrucksvolles Schauspiel, das uns der Fotograf in seinen ruhigen und klaren Aufnahmen näher bringt. Ähnlich den oft weit gereisten Landschaftsmalern des 19. Jahrhunderts bringt er den Daheimgebliebenen die eigentlich so unwirtliche, doch erhabene Landschaft in ruhigen, harmonischen Kompositionen nahe. Beckers Fotografien machen empfindsam für die Ferne, ohne dabei grell und laut zu sein; die Stille und die überraschende Farben- und Formenvielfalt nehmen den Betrachter gerade deshalb gefangen.
Broken Line














Von 2003-2006 legte Becker in einem kleinen Schlauchboot meist allein insgesamt ca. 4000 km an der Westküste Grönlands zurück, um mit einer 8 x10 inch Großformatkamera diesen Küstenabschnitt zu portraitieren. Er erreichte mit seinem kleinen Boot fast den 75. Nördlichen Breitengrad in der Melvillebucht. Wie ein Maler des 19. Jahrhunderts portraitierte er dabei die Landschaft und betont die Stille, die Melancholie und Erhabenheit dieses Vielen noch unbekannten Landes. Ähnlich einem Entdecker sind seine Bilder durchdrungen von der Sehnsucht, mehr zu erfahren über das, was sich hinter dem sichtbaren Äußeren verbirgt. Diese subtile Spannung zieht sich unterschwellig durch die gesamte Serie „Broken Line".
Oft wartete er Tage auf das richtige Licht für seine Aufnahmen. In der besonderen Zeit der Mittsommernacht, in der es keine Schatten gibt und die Tonalität der Umgebung in ihrer Subtilität am klarsten wiedergegeben wird, entstanden so Bilder unglaublicher und eindrucksvoller Stimmung aus Eis und Licht.